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Dialoge schreiben

Geschichten saugen Dialoge auf wie eine Lunge die Luft, denn sie geben der Geschichte Platz zum Atmen, schaffen den Spielraum für die Charaktere, um das Gerüst zum Leben zu erwecken. Gute Dialoge können unheimlich viel Atmosphäre vermitteln, da sie den Leser als stillen Beobachter in eines der intimsten Erlebnisse hineinwerfen, der Kommunikation zwischen zwei oder mehr Lebewesen. Mit der gesprochenen Sprache vermitteln wir – meist unbewusst – Emotionen, Gedanken und zwischenmenschliche Verbindungen. All das kann man erreichen, ohne ein einziges Adjektiv benutzen zu müssen.

Wie erstellt man einen fantastischen Dialog?

Der natürlichste Instinkt wäre wohl, Dialoge so realitätsnah wie möglich zu gestalten. Wer allerdings einmal eine transkribierte Version eines Gesprächs näher betrachtet, erkennt sofort, dass die Realität kein guter Lesestoff ist – hier sei der Inhalt vorerst außer Acht gelassen. Mündliche Sprache ist voller Abbrüche, Korrekturen, Unterbrechungen, Wiederholungen und auch standardferner Äußerungen. Ein Ausschnitt:

[toggle title=“Dialog in Spontansprache“]

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Sprecher 1: Das ist … das sind doch deutliche ähm
Sprecher 2: Aber das sind nicht … nicht so richtig die Maßnahmen. Sieh die anderen an, die da bestimmen. Es ist Globalisierung.
Sprecher 3: Ja. Die äh …
Sprecher 2: Es ist Globalisierung. Man kann nicht sagen, äh, weil Herr so und so da jetzt was gibt, dass äh dann die Firmen zufrieden sind.
Sprecher 3: Das kommt drauf an.
Sprecher 1: Aber willst du jetzt alles zurück zu Kommunismus …
Sprecher 2: Nee, hab ich nicht gesagt.
Sprecher 1: … denn das wollen die …
Sprecher 2: Ja, Moment.
Sprecher 3: Seh ich auch so, weil … äh …
Sprecher 2: Und was ist mit den Arbeitern?

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Diese Art der Kommunikation funktioniert im Mündlichen deshalb, weil die Sprecher sich auch auf Informationen wie Tonhöhe, Mimik und Kontext verlassen können. Dem Autor wird hiervon nichts geschenkt. Darüber hinaus sprechen wir in vergleichsweise sehr hohem Tempo und häufig simultan; dagegen scheint die Schrift durch längere Lesezeiten und eine lineare Abfolge regelrecht eingeschränkt. Doch dem Autor sind andere Mittel eigen, mit denen er ein natürliches Erlebnis für den Leser kreieren kann.

Abstand zur gesprochenen Sprache

Polieren

Als erstes ist der gesprochene Dialog zu polieren. Leser wissen intuitiv, dass es in geschriebenen Dialogen kein Performanz-Problem gibt. Als Hörer blenden wir irrelevante Informationen wie Korrekturen, „ähs“ und vorsichtsmäßige Verständnishilfen wie Wiederholungen einfach aus. Im Geschriebenen ist uns dies nicht so natürlich, denn wir haben gelernt, dass jeder stupide Punkt eine Funktion besitzt. Um also die Lesezeit nicht unnötig zu verlängern und im Endeffekt langweilig zu werden, streichen wir alle unnötigen Laute. Diese benutzen wir nur noch als Stilmittel, wenn wir dem Leser mit einem „äh“ zum Beispiel zeigen wollen, dass der Charakter besonders unsicher oder von der Situation überfordert ist.

Stilmittel

Beim Lektorieren bzw. beim Lesen von Texten weniger erfahrener Schreiber fallen mir fast immer häufige Abbrüche in Dialogen auf, bei denen die Autoren wahrscheinlich ihre Beobachtungen aus natürlichen Gesprächen einfließen lassen. Da wir als Leser die Erwartung aufgebaut haben, dass ein Abbruch etwas extrem Unerwartetes anzeigt, stiftet man bei den Lesern mit diesen häufigen Abbrüchen eher Verwirrung und unterbricht den Lesefluss, im schlechtesten Fall fällt es sogar negativ im Stil auf. Nicht selten beobachte ich auch, dass der besondere Effekt des Abbruchs zwar als Stilmittel vom Autor erkannt wurde, aber gnadenlos überbenutzt wird, so dass die gleiche negative Wirkung einsetzt und letztendlich eine Abschwächung des Effekts entsteht.

Kontext

Beim Vergleich von renommierten Werken, bei denen der Lesefluss wie ein Wasserfall vorprescht, und Geschichten von z. B. einigen Self-Publishern, dessen Storys noch so grandios sein können, sie es aber irgendwie nicht ins Spitzenregister schaffen, fand ich einen großen Unterschied: letztere versuchen oft mit zahlreichen Adjektiven und Umschreibungen dem Leser zu erklären, wie er sich die ganzen Elemente der gesprochenen Kommunikationssituation vorzustellen hat. Die Charaktere sagen Dinge „zaghaft“, befürworten etwas mit hibbeligen Beinen oder schluchzen „fürchterlich“. Die Schreiber versuchen sich an einer Eins-zu-eins-Übersetzung und entziehen dem Medium damit seine Schlagkraft. Dabei hat das Medium seine eigenen Stärken für die Wiedergabe von Kontextinformationen wie Emotionen, Hintergrundwissen der Charaktere und situative Faktoren.

Die Kraft des geschriebenen Wortes

Zuerst einmal sollte die wörtliche Rede stark genug sein, um mithilfe der Wortwahl, Interpunktion und Zusammenstellung bereits einen Großteil der Sprechereinstellung zu transportieren. Und dann ist da noch der Text zwischen den Dialogen. Dieser übernimmt eine ganze Reihe von Funktionen, wenn man ihn nutzt, um elegant den Sprecherwechsel zu lenken, die Gedanken der Charaktere widerzuspiegeln, ohne sie „nennen“ zu müssen, und alle anderen wichtigen Informationen zu vermitteln. Anstatt zu berichten, wie der Charakter etwas sagt, lässt man dem Leser den Freiraum es selbst zu erleben, indem man das Innenleben der Charaktere offenlegt und alles Nötige zur Verfügung stellt. Der Leser ist nicht doof. Mit diesem Mittel reicht uns ein gelegentliches „sagte X“, mehr braucht der Leser nicht mehr, und der Lesefluss gewinnt an Kraft.

Unser Dialog könnte in einer schriftlichen Geschichte also folgendermaßen aussehen, ohne performanzbedingte Phrasen, mit minimalen Stilmitteln und mit genug Kontext für den Lesefluss, so dass man mit wenigen Redeeinleitewörtern wie „sagte“ auskommt:

[toggle title=“Dialog in Schriftform“][alert-announce]

„Das sind doch ganz deutliche Maßnahmen“, sagte Mikel.
Denise schüttelte den Kopf. „Aber das sind die falschen Maßnahmen.“ Erst gestern hatte sie in der Bahn einen Artikel gelesen, nach dem gerade mehrere hundert Wirtschaftswissenschaftler eine Petition unterzeichnet hatten, die sich gegen den Maßnahmenkatalog aussprach. „Sieh dir nur mal die Idioten an, die da das Sagen haben. Glaubst du wirklich, dass die auf die Globalisierung vorbereitet sind?“
„Sowas hab ich auch gelesen“, stimmte Jens zu.
Mikel ließ sich rücklings in seinen Stuhl fallen und kämpfte mit seiner trockenen Stulle. Bevor er seinen Bissen herunterschlucken konnte, setzte Denise erneut an: „Es ist ja nicht so, als würden die Firmen zufrieden sein, nur weil die Regierung ein, zwei Trostpflaster verteilt.“
„Das kommt drauf an“, warf Jens ein, wurde jedoch von Mikel unterbrochen: „Willst du etwa wieder zurück zum Kommunismus, oder was?“
„Das hab ich doch gar nicht gesagt.“ Er musste ihr auch wirklich immer die Worte im Mund umdrehen. Eines der letzten Laubblätter wehte zu ihnen hinüber, kam kurzzeitig auf dem Tisch zum Liegen und rutschte von der Tischkante, genau wie diese Unterhaltung. Warum musste Mikel bei diesem Thema auch immer den Besserwisser spielen, nur weil sein Bruder Wirtschaftswissenschaften studierte.
Mikel knüllte seine Folie in seiner Faust zusammen und machte sich daran aufzustehen. „Darauf läuft’s doch aber hinaus.“
Jetzt tat er es schon wieder. Beendete einfach das Gespräch nach seiner Laune. „Moment mal,“ rief sie ihm hinterher.
Jens zuckte nur mit den Schultern und sagte zu ihr: „Ich seh es wie du, nur sind es vielleicht doch mehr als Trostpflaster.“ Denise gab ihm ein Lächeln, bevor sie Mikel hinterherlief. Auf ihn konnte sie sich verlassen. Er war absolut rational und wog alles haargenau ab, bevor er den Mund aufmachte.
„Und was ist mit den Arbeitern?“, fragte sie Mikel, als dieser gerade die Tür aufmachte. …

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Im zweiten Beitrag gibt es eine Besprechung eines literarischen Textes im Sinne der Form der Dialoge.

Hinter der Vielfalt seines Bücherregals verbirgt sich eine Sympathie für Werke entsprungen aus den Genres Fantasy, Sci-Fi, Horror und Gesellschaftskritik. Als geneigter Leser wandelt Nico zwischen der LitWelt und SchreibWelt. In letzterer tradiert er seine Erfahrungen als Lektor, Autor und Verleger zur Unterstützung aufstrebender Schriftsteller.

Comments(3)

  1. […] die Autoren helfen, ihre Texte zu verbessern. Unter anderem lüfteten wir die Geheimnisse eines guten Dialogs und verrieten, wie man einen Ort besonders lebendig beschreibt. In der Community Challenge fordern […]

  2. […] Form fantastischer Dialoge I […]

  3. […] haben uns mit der Form fantastischer Dialoge in zwei Beiträgen beschäftigt und darin Dialoge einmal aus linguistischer Sicht und anschießend […]

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