Jeder von uns nimmt die Tatsache als gegeben hin, dass der Boden unter unseren Füßen fest ist und uns Halt gibt. Bis man eines Tages feststellt, dass dem nicht so ist.
Die Protagonisten in den sechs Erzählungen erleben genau das. Obwohl sie von dem Erdbeben in Kobe, bei dem fast 5000 Menschen sterben, 15.000 Menschen verletzt werden und 300.000 Menschen ihr Zuhause verlieren sollen, nicht direkt betroffen sind, sondern lediglich mediale Zeugen der Katastrophe werden, wird ihnen auf gewisse Art ebenfalls der Boden unter den Füßen weggezogen. Für alle bedeutet das Erdbeben einen Einschnitt in ihr bisheriges Leben, zwingt sie inne zu halten. Für den Mann, dessen Frau einfach verschwindet und der sich auf eine Reise begibt um festzustellen, dass man seinem eigenen Selbst nicht entkommen kann, weil es einem wie ein lästiger Schatten überall hin folgt. Oder für die Ärztin, die jemanden aus Kobe kennt und gegen ihr Herz aus Stein ankämpfen muss.
Alle spüren eine Leere in sich, die sie füllen wollen. Alle haben Angst vor einer ungewissen Zukunft, vor dem Tod und vor dem Alleinesein, vor dem Moment, wenn das Feuer erlischt und die Kälte einen weckt – ob man will oder nicht.
„Nach dem Beben“ bleibt – ungewohnt für Murakami – bis auf eine Ausnahme bei der Abbildung der Wirklichkeit und verzichtet weitestgehend auf surreale Elemente. Einzig die Geschichte des gigantischen Superfrosches, der Tokyo retten will, trägt die kafkaesken Züge anderer Erzählungen des Autors. Trotzdem ist es nicht weniger lesenswert. Leise und zurückhaltend hält Murakami den Finger auf die Wunden der modernen Zivilisation, kratzt jedoch nur an der Oberfläche und überlässt es dem Leser, sich tiefer hinein zu denken. Der Pessimismus – gerade zu Beginn des Buches – verwandelt sich im Laufe der Reise in einen vorsichtigen Optimismus, so dass man am Ende doch recht hoffnungsvoll aufblickt und vielleicht sogar dankbar ist für Gelegenheit innezuhalten und den Boden unter den eigenen Füßen auf seine Festigkeit zu überprüfen.