Nachdem wir in der Vergangenheit zahlreiche Werke aus der englisch-sprachigen Literatur observiert haben, diskutieren wir dieses Mal einen echten deutschen Klassiker von Thomas Mann: „Der Tod in Venedig“.
Zum Inhalt
Im Fokus der Novelle steht der gealterte Schriftsteller Gustav von Aschenbach, der sich nach seinem strebsamen Leben, nun einmal einen Urlaub im malerischen Venedig gönnt. Dort begegnet er einem bildschönen polnischen Knaben mit dem Namen Tadzio, sowie dessen Mutter und Schwestern. Der Junge übt eine große Faszination auf den verwitweten von Aschenbach aus, sodass er in eine Art Rausch der Gefühle fällt und ihm, fast schon besessen, überall hin folgt. Die seltsam anmutende Liebe des Greises entfaltet sich jedoch nicht ungestört, denn genau in diesem zur Entspannung gedachten Urlaub, geht in Venedig die Cholera um und auch von Aschenbach vermag nicht verschont zu bleiben…
Jana war nicht überrascht, sondern gelangweilt
An die „Buddenbrooks“, die ich wie vermutlich jeder Abiturient, der Deutsch als Leistungskurs gewählt hat, im Schulunterricht durchkauen musste, denke ich heute noch mit Grauen zurück. Sie waren es, die mir schon früh die Lust auf die Werke Thomas Manns verdorben haben. An den „Tod in Venedig“ ging ich entsprechend vorbelastet heran und war mir eigentlich im Vorfeld schon darüber im Klaren, dass auch diese Geschichte mich nicht begeistern wird. Meine üble Vorahnung bestätigte sich schon auf den ersten Seiten, und doch quälte ich mich durch die Novelle hindurch. Leider habe ich selten eine so langweilige und langwierige Geschichte gelesen wie die des Gustav von Aschenbach. Lediglich die ersten Begegnungen mit Tadzio zogen mich ein wenig in den Bann, doch auch dessen anfänglicher Zauber war schnell wieder verflogen. Der Rest der Erzählung war für mich so vorhersehbar, dass ich das Ende lange bevor ich es gelesen hatte bereits kannte – und ein Buch, das nicht zu überraschen weiß, brauche ich auch dann nicht in meinem Regal, wenn es zu den deutschsprachigen Klassikern zählt.
Christina verfiel in Urlaubserinnerungen
Da dieses Jahr mein Sommerurlaub nach Venedig führte, freute ich mich besonders darauf das Werk von Thomas Mann zu lesen. Meine Freude sollte nicht umsonst bleiben, denn der Autor zeichnet ein Bild von der italienischen Stadt, dass ich nur allzu gut kennengelernt habe. Der Strand auf Lido, der Piazza San Marco, Gondeln und Wassertaxis – viele schöne Erinnerungen schossen mir beim Lesen in den Kopf. Doch auch ohne Urlaubs-Verklärung – davon bin ich überzeugt – hätte mich der Roman begeistert, denn der Sprachstil und die Erzählweise überzeugen. Bisher hatte ich von Thomas Mann, ebenso wie Jana, nur die „Buddenbrooks“ gelesen. Auch dieses Werk habe ich mir gerne zu Gemüte geführt, musste mich aber durch einige Seiten des voluminösen Klassikers quälen. Die recht kurze Novelle hingegen, konnte mich diesmal mehr überzeugen.
Der Handlung von „Der Tod in Venedig“ ließ sich gut folgen und die Handlung blieb, obwohl gar nicht viel passiert, stets spannend. Ich war gebannt und wollte wissen was mit dem jungen Tadzio und Aschenbach passieren würde. Eine Geschichte, die ich schnell durchgelesen habe und mit gutem Gewissen weiterempfehlen kann.
Svea war unentschieden
„Der Tod in Venedig“ ist für mich eine einzigartige Geschichte. Normalerweise habe ich direkt nach Beenden eines Buches eine Meinung dazu, die sich nicht mehr verändert. Bei diesem Werk war es anders. Ich muss dazu sagen, dass ich die Novelle mit 15 gelesen habe. Nicht zuletzt deshalb war mir das Werk zunächst suspekt, denke ich: Die Absichten Aschenbachs gegenüber Tadzio waren mir vornehmend unheimlich. Während des Lesens konnte ich das Gefühl nicht ablegen, mit einem Pädophilen konfrontiert zu werden. Nach der Lektüre aber ließ mich das Buch nicht mehr los. Ich habe viel über Aschenbachs merkwürdigen Venedigaufenthalt nachgedacht und erst im Nachhinein sind mir die besondere Stimmung und Sichtweise des Buches aufgefallen. Der Schönling Tadzio ist Aschenbachs Lichtblick in einer sich zum Schlechten hin verändernden Umgebung. Indem er Tadzio folgt, zeigt Aschenbach sein Bedürfnis nach Schönheit und Harmonie. Ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass der Junge in Gefahr schwebte. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass Aschenbach in einer düsteren Zeit nach Ablenkung und Ästhetik gesucht hat, was er zufällig beides in dem Jungen vereint sah – vor allem deshalb weil er, sich seines Untergangs gewiss, es sehen wollte. Obwohl es schon Jahre her ist, dass ich dieses Buch in der Hand hielt, sehe ich den Voyeur noch immer in seinem Liegestuhl vor mir. Großes Kino!
Nico hat sich begeistern lassen
Lange wollte ich diese Novelle von Thomas Mann verschlingen, hatte ich doch zuvor großartige Kurzgeschichten von ihm gelesen. Auf den ersten Seiten von „Der Tod in Venedig“ wurde mein Geist dann sogleich zweigespalten. Die sprachlichen Fertigkeiten waren komplex, aber präzise und herausragend zielgerichtet. Jeder Satz verriet mehr Inhalt, wenn man ihn genauer betrachtete. Diese Kunst findet man sonst nur noch in der Dichtung. Allerdings war es auch ein langer Weg bis zur tragenden Handlung und es stellte sich bei mir schnell eine Grundmüdigkeit ein. Hätte mich das Thema nicht äußerst interessiert, so hätte ich dieses Werk bestimmt schnell als langweilig empfunden. Wer sich aber die Mühe macht, es genauer zu betrachten, der wird definitiv belohnt. Denn dann kann man durch die oberflächliche Geschichte von einem älteren Deutschen, der nach einem jungen Mann in seinem Hotel strebt, hindurchsehen und sich den Themen der Vergänglichkeit, der unerfüllbaren Wünsche und der bedingungslosen Liebe ohne Erwartungshaltung widmen. Alles wohl Themen, die durch amerikanische Einflüsse und politische Bestrebungen ihren Wert in unserer Gesellschaft verloren haben.
Das Fazit
Dieses Mal zeigte sich unsere Redaktion weniger überzeugt als beim letzten Buchclub! Während unser bisheriger Spitzenreiter „Herr der Fliegen“ mit 4,5 Sternen auftrumpfen kann, schafft „Der Tod in Venedig“ lediglich drei Sterne. Jana geht am härtesten mit Gustav von Aschenbach ins Gericht und empfand die Novelle als langatmig und vorhersehbar. Christina dagegen war sehr gespannt, verschlang Thomas Manns Werk in kurzer Zeit und würde es weiterempfehlen. Svea und Nico haben es geschafft durch die Fassade Aschenbachs zu blicken und seine Angst um die Vergänglichkeit des Seins erkannt. Fazit: “Der Tod in Venedig” hat in der Redaktion niemanden in ausufernde Begeisterungsstürme versetzt, doch mit drei Sternen kann das Werk sich dennoch solide behaupten.