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Als der neueste Roman von Sinclair Lewis 1936 in den USA erschien, hatte Hitler Deutschland bereits aus der Demokratie in eine Diktatur geführt. Eine Opposition gab es nicht mehr, weite Teile des Staates waren gleichgeschaltet und mit den Nürnberger Gesetzen war die Judenverfolgung offiziell legitimiert worden.

In den USA betrachtete man die Entwicklungen in Europa mit einer Mischung aus Abscheu, Faszination, Sorge und Gleichgültigkeit. Der anfängliche Aufschrei in der amerikanischen Bevölkerung und in den Medien war längst verklungen. Zu sehr war man mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, denn die Folgen der Weltwirtschaftskrise waren noch immer schmerzhaft spürbar. Und auch wenn Populisten von links und rechts wie Pilze aus dem Boden schossen, rassistische Ressentiments verbreiteten und mit einfachen Antworten auf komplizierte Sachverhalte und plumpen Amerikanismus auf Bauernfang gingen, und auch wenn einflussreiche Medienmacher wie William Randolph Hearst (das Vorbild für „Citizen Kane“) Nationalismus damit salonfähig machten, wenn sie postulierten: „Wann immer ein prominenter Amerikaner als Faschist bezeichnet wird, kann man sich schon denken, dass er einfach nur ein loyaler Bürger ist, der für Amerikanismus einsteht“, galt im allgemeinen das Credo: Das ist bei uns nicht möglich.“.

Sinclair Lewis, dessen Ehefrau – die Journalistin Dorothy Thompson – von 1924 bis 1934 in Berlin gelebt und Hitler sogar interviewt hatte, griff diese kühne Behauptung auf und skizzierte in seinem Roman ein düsteres Zukunftsszenario: ein rassistischer, ungebildeter, machtgeiler und impulsiver Lügner, der die Amerikaner als die großartigste Rasse auf dieser Erde ansieht und sich zur Stimme der vergessenen Männer erhebt, zieht wenig später mit dem Slogan: „Make America a proud rich land again“ ins Weiße Haus ein. Einmal an der Macht, wird die Judikative per Notstandsgesetz ausgeschaltet, Gegner mundtot gemacht, die Pressefreiheit eingeschränkt und eine Privatarmee (MM, „Minute Men“) ins Leben gerufen.

Achtzig Jahre später haben die Amerikaner einen rassistischen, ungebildeten, machtgeilen, impulsiven Lügner im Weißen Haus , der versucht, die Pressefreiheit einzuschränken, politische Gegner mundtot zu machen und die Judikative zu unterwandern. Sinclair Lewis erlebt einen zweiten literarischen Frühling und wird als Prophet gefeiert.
Und in Europa heißt es: Das ist bei uns nicht möglich.

Dabei sind mittlerweile in mehr als einem Drittel der EU-Mitgliedstaaten Rechtspopulisten an der Regierung beteiligt. In Polen und Ungarn stellen sie die absolute Mehrheit. Dort sind Presse- und Versammlungsfreiheit längst nur noch leere Worthülsen. In Polen versucht die Regierung Einfluss auf die Ernennung und Entlassung von Richtern zu nehmen und in Ungarn ist Identität mittlerweile zur Bürgerpflicht erklärt worden.

Die Europawahl ist freilich etwas anderes als die Wahl eines Präsidenten. Und doch muss man sich fragen: Will man im Europaparlament Politiker sehen, die den Klimawandel leugnen, Minderheiten diskriminieren, demokratische Prozesse aushebeln und Nationalismus als oberste Priorität ansehen? Will man Leuten zu mehr Macht verhelfen, die unverhohlen damit kokettieren aus Brüssel ein neues Stalingrad machen zu wollen?

Die Antwort ist einfach.
In diesem Sinne: geht wählen!
(Und lest dieses Buch!)

Auf Anjas Speisekarte stehen überwiegend alte Schinken aus vergangenen Jahrhunderten: gut abgehangen, manchmal etwas zäh, doch immer eine vollmundige Angelegenheit. Dazu gönnt sie sich ab und zu ausgesuchte Tropfen der aktuellen Literaturlese: mal trocken-humorig, mal feinherb-gesellschaftskritisch. In ihrer Rubrik Litopian Life geht es um alles, was das Leben als Büchernarr (noch) schöner macht. Manchmal schauen hier auch prominente Bücherfreunde vorbei um von ihren Reisen durch das bunte Universum der Literatur zu berichten.

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